Zur Entstehungsgeschichte
des „Liebste Freundin ....!“ - Projekts
Die ersten Briefe an Catherine entstanden zwischen Anfang Januar und Mitte Februar 2022. Bald merkte ich, ich schreibe nicht nur an meine Freundin, mir fließt eine gesellschaftliche Analyse aus der Feder.
Als uns Omikron schon wieder aufatmen ließ, die Pandemie begann, ihre Schrecken zu verlieren, hatte ich meine Briefe gerade der Stadt Solingen vorgeschlagen. Ich dachte an Lesungen als mögliche Impfung für noch nicht Angesteckte gegen die Schwurbelei, die Hetze, die Verdrehungen und die völlig schrägen Nazivergleiche, die „Coronaleugner“, selbsternannte „Spaziergänger“ und der sogenannte „Solinger Widerstand“ auf Solingens Straßen brachte und die parallel überall in der Republik und offensichtlich auch in Frankreich auftauchten.
Förderung durch „Demokratie Leben!“
Michael Roden vom Integrationsdienst Solingen schlug mir dann vor, einen Podcast zu produzieren, vermittelte eine Förderung über das Bundesprogramm "Demokratie Leben!“
Nur wenige Wochen später, mit der „Zeitenwende“ nach Putins Überfall auf die Ukraine verschwand Corona aus den Schlagzeilen. Hatte sich meine Schreiberei da also von der Aktualität überholt?
Durch meine Analyse der Wurzeln dessen, was „Querdenker“, „Impfgegner“ und ihre neue Partei „Die Basis" verbreitet hatten, ahnte ich da schon: das Virus der Verhetzung, es würde bald mutiert zurückkehren - auf der Suche nach weiteren Gruppen zum Andocken. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.
Wovon lenkt der Impfstreit ab?
Begegnet war mir auch die Frage, ob uns der absurde Impfstreit nicht von brennend wichtigeren Aufgaben, nämlich der Bekämpfung des Klimawandels, abgelenkt.
Und noch etwas war mir aufgefallen: Mediziner, die vor Corona warnten und sich in deren Bekämpfung engagierten, wurden von selbsternannten Youtube-Experten ebenso verunglimpft und bedroht wie Wissenschafter, die zum Klimawandel forschen. Dass es, von der fossilen Lobby seit Jahrzehnten massiv finanziell geförderte Kampagnen gegen die Klimawandelbekämpfung gibt, ist bekannt. Sie verharmlosen, sie verunglimpfen, sie befördern alles, was der Ablenkung dient und sie unterminieren die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Ich sah da erstaunliche Parallelen.
Persönliche Klimawandel-Erfahrung
Als ich im Mai 2022 mit dem Podcast in die Produktion gehen wollte, ereilte mich mit einem Kanalrückstau schon der zwei Starkregen-bedingte persönliche Klimagau.
Während ich knöcheltief in Fäkalschlamm watete und monatelang mit schweren Zerstörungen und ihrem Wiederaufbau zu kämpfen hatte, schwammen mir meine Podcast-Pläne davon. Wer sich selbst retten muss, hat erst mal weder Kopf noch Zeit, weiter differenziert und kritisch über die Welt nachzudenken.
The Beautiful Minds übernimmt die Produktion
Im Frühjahr 2023 übergab ich die Produktion an den Theater- und Film-Regisseur Stefan Herrmann und sein Team von https://thebeautifulminds.de. Damals schauten wir alle nach Russland. Unsere neue Regierung kämpfte da mit Lieferengpässen, Fachkräftemangel und der Inflation der Energiepreise, in die wir durch unsere, unter Schröder begonnene und dann in 16 Jahren Merkel ausgebaute Abhängigkeit vom russischen Gas gekommen waren.
Trump, seine Lügen und die Hetze rund um Corona schienen vor einem Jahr wie ein Stück skurriler Vergangenheit. An Corona und alles, was wir da gedacht und gefürchtet hatten, daran wollte niemand mehr denken. Und die Saat der weltweiten, von Corona beflügelten neorechten Vernetzung im Internet war da noch nicht sichtbar aufgegangen.
Die Kürzungen für den Podcast
Dramaturgin Juliane Hendes kürzte daher einige meiner politischen Analysen, konzentrierte die Geschichte mehr auf das Emotionale, auf das Ringen um die Freundschaft, auf meine Fragen: Was hält uns zusammen als Menschen und als Gesellschaft ? Was tun, wenn unsere Annahmen über die Welt auseinander driften, wir uns plötzlich in verschiedenen, von den Algorithmen des Internets erzeugten Wahrnehmung-Blasen wiederfinden? Wie kann man demokratisch konstruktiv streiten? Wie eine drohende Spaltung in privaten Gesprächen verarbeiten, ohne sich dabei zu überwerfen? Wie mit Leuten reden, die plötzlich Verschwörungserzählungen zuneigen?
Was seither passiert ist
Die Podcast-Fassung umfasst etwa ein Drittel des ihm zugrunde liegenden Textes. Und der hat sich inzwischen auch noch weiterentwickelt.
Die multiplen Krisen der letzten zwei Jahre, die Propagandamaschinerie der Kriegsparteien in Ukraine und Gaza, die Machtinteressen der Potentaten dieser Welt, die Europa gern schwach sehen und die Beschleunigung von all dem durch KI und die Algorithmen haben eine neue Pandemie entfacht - eine Pandemie in unseren Köpfen. Ihre Symptome: Weltuntergangsstimmung, Staats- und Demokratiefeindlichkeit, Hoffnungen auf rettende „FührerInnen“, der Glaube an deren Autorität, aber nur bloß nicht mehr an die Vertreter unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Gesellschaft.
So ist Donald Trump nun erneut Kandidat, der erste kriminell verurteilte Ex-Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Seine Anhänger scheint das eher noch zu befeuern statt dass sie nachdenken, wem sie im kommenden November im Weißen Haus Tür und Tor öffnen wollen. In den Niederlanden ist, von Bauernprotesten beflügelt, der Rechtspopulist Geert Wilders zusammen mit den Konservativen in die Regierung eingezogen. In Italien regiert die postfaschistische Giorgia Meloni. Zusammen mit ihrer französischen Gesinnungsgenossin Marine Le Pen sucht sie den Schulterschluss mit Ursula von der Leyen. Mit dem Ausschluss der AFD aus ihren Reihen geben sich die Damen aktuell ganz weichgespült und für die Mitte der Gesellschaft wählbar. Was aber wird passieren, wenn sie an der Macht sind und diese noch weiter ausbauen konnten? Ungarns Victor Orban begann als glühender Europäer. Nun sitzt nun in den Reihen derer, die europäischen Institutionen schwächen und abschaffen wollen.
Und Von der Leyen´s CDU unter Merz hat ihren schlimmsten Feind in den Grünen ausgemacht, aber keineswegs bei der AFD. Allen Skandalen zum Trotz sehen laut Umfragen 30% der Thüringer im erwiesen rechtsradikalen Björn Höcke ihren kommenden „Führer“, wollen ihm ihr Kreuzchen geben. Und, sollte die Umfragen tatsächlich stimmen, glauben bundesweit 18% aller Deutschen der Hetze der AFD. Sie scheinen auch nach den Enthüllungen über die Potsdamgespräche, immer noch bereit, diese Partei wählen zu wollen.
Und Catherine?
Unsere deutsch-französische Freundschaft ist gestärkt aus der Krise hervorgegangen.
Im letzten Sommer besuchte sie mich - schutzsuchend vor der unerträglichen Sommerhitze in ihrer südlichen Heimat, wo früher ich im Sommer die Wärme suchte. Auch sie kann von persönlich erfahrenen Klimawandel-Erfahrungen erzählen. Gemeinsam sind wir besorgter denn je.
Erschrecken bei der Neulektüre des Originaltextes
Nun ist mein Podcast online. Und mit bald zweijährigem Abstand habe ich das Original erneut gelesen. Erschrocken bin ich dabei über all das, was ich vor zwei Jahren schon als Bedrohung wahrnahm und dann - in der Hoffnung, dass Corona und all der Schwurbel hinter uns liegt - wieder vergessen hatte - wie vermutlich viele von uns.
Womit wir jetzt zu kämpfen haben, mit der Hetze aus dem Netz, die zunehmend in Gewalttaten mündet, mit Bürgern, die Politiker im Wahlkampf drangsalieren und zusammenschlagen, diese Saat, sie wird schon seit vielen Jahren ausgebracht.
Fünf Jahre liegt die Ermordung des SPD-Politikers Walter Lübke durch einen Neonazi nun schon zurück. Vor 13 Jahren flog die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) auf, die bei Polizei und Verfassungsschutz fast ein Jahrzehnt lang rassistisch gefärbt als „Döner-Morden“ geführt wurden, wo Opfer als Täter verhört und V-Leute involviert waren, deren Rolle bis heute ungeklärt ist.
Wir haben massiv versäumt, den Garten unserer Demokratie zu pflegen. Gedüngt wurde der Wildwuchs zudem von Politikern unserer einstigen Mitte. Sie hoffen bis heute am rechten Rand fischen zu können, haben das Virus der Hetze so aber nur zu Blüte und Reife gebracht.
Die Briefe an Catherine - weit mehr als nur ein Rückblick auf Corona
Meine Briefe lesen sich heute nicht nur als kleiner historischer Rückblick auf so vieles, was wir unter Corona geglaubt und befürchtet haben, sondern auch als Erkenntnis wie infiziert wir damals schon waren, wir alle - auch die Gebildeten unter uns.
Liebe Freunde - lasst uns handeln !
Vielleicht wird das der neue Titel?
Vielleicht müssen die Fragen jetzt heißen:
Wie werden wir wieder Herr/in in Garten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Wo müssen wir dringend umgraben und ausmisten?
Und wie bepflanzen wir den Garten neu?